bei CIMA: ein Besuch

von Clemens Oberle / aus 2007:Cima-Jungs singen ihre 'Hymne'
Nun auf zum Straßenkinderheim in Cieneguilla, außerhalb von Lima. Jean Louis und zwei seiner Schützlinge holen uns auf halber Strecke ab, denn mit Sonias PKW kommen wir nicht durch den z.Zt. Niedrigwasser führenden Fluß. Der Pickup von CIMA hat Museumswert, trotzdem schafft er es problemlos durch das steinige Flußbett. Im Sommer muß ein 5km langer Umweg über eine Brücke gefahren werden, der Fluß ist dann nicht mehr passierbar.


Das CIMA Gelände wirkt wie eine grüne Oase inmitten kahler Sand- und Geröllhügel.

Jean Louis erste Frage an uns: „Wieviel Zeit bringt ihr mit?“
Er ist zufrieden als wir ihm sagen, daß wir – falls nötig – den ganzen Tag zur Verfügung haben.

Jean Louis ist 64, ein stattlicher grauhaariger Kanadier mit einer unglaublichen Ausstrahlung. Mit 40 nahm er ein Sabbatjahr, sein Lehrerberuf hatte ihn ausgepowert. Erst kam er nach Haiti, wo er schon merkte, daß seine persönlichen Probleme angesichts der dort herrschenden Armut nichtig waren.
Vor über 20 Jahren kam er dann nach Peru – und blieb.
Er ging in die Parks im Stadtzentrum von Lima, dorthin, wo sich die Straßenkinder herumtreiben. Er gewann ihr Vertrauen, mietete ein Haus im Stadtzentrum an und zog dort mit ersten 4 Straßenkindern ein…
Später brauchte er ein größeres Haus, immer mehr Jungs wollten mit ihm leben. Seit gut 5 Jahren lebt er mit verschiedenen im Projekt angestellten Menschen und über 80 Straßenjungs im Alter zwischen 8 und 18 in Cieneguilla.
„Früher hatte ich alles, ein schönes Haus, genug Geld, Hobbys, einen gut bezahlten Job – aber ich war innerlich leer und ausgebrannt. Jetzt habe ich Geldsorgen und Kummer mit meinen Jungs – aber ich bin glücklich“.

Unser „Einstand“ beginnt im Musikraum. Dort probt gerade eine Straßenkinderband, angeleitet von zwei „Ehemaligen“. Für uns wird Musik gespielt – recht professionell. Jeder einzelne Junge stellt sich uns vor. Ich bin überrascht, wie kurz erst einige dabei sind. Wir tanzen dazu, auch wenn mir eher zum heulen zumute ist:
Die Geschichten der Jungs stehen ihnen ins Gesicht geschrieben. Fast alle stammen aus zerrütteten (Migranten-) Familien, lebten auf der Straße und waren drogenabhängig. Meist von Terocal, einer Grundsubstanz aus der Kokainherstellung, die geschnüffelt wird und Hirn und Schleimhäute angreift und agressiv macht.
Dann wird gesungen – mit Jean Louis zusammen: Die Hymne von CIMA. Ergreifend ist das schon. Vor kurzem erst war Jean Louis mit ein paar Jungs sogar in Deutschland – ins Saarland waren sie eingeladen von einer Pfarrei – Spendenwerbung. Eine CD wurde herausgegeben. Nun gibt’s eine Finanzierung für die Professionalisierung der Band!
Jean Louis hat Angst, daß die Jungs nicht die Ausdauer haben werden, täglich zu proben, wirklich auf Profiniveau zu spielen. Denn CIMA ist offen, jeder kann gehen, wenn er ihn „die Straße“ wieder ruft, allerdings nur dreimal, dann darf man nicht mehr wiederkommen.

Wir besichtigen das gesamte Gelände (die verschiedenen Gebäude wurden nach und nach von unterschiedlichen Geldgebern finanziert): 6 Wohnblocks, in denen jeweils 16 Jungs mit 2 im Turnus arbeitenden Betreuern leben. Büro- und Arbeitsräume (eine Belgierin kümmert sich um die Organisation und die Finanzen), 2 oder 3mal die Woche halten ein Arzt und ein Zahnarzt im Wechsl Sprechstunde. Sozialarbeiter und Psychologen arbeiten ebenfalls mit. Es gibt kleine Unterrichtsräume, wo Lehrer im Aufbauunterricht ergänzend zur Schule individuelle Nachhilfen in kleinen Gruppen erteilen. In einem großen Holzschopf (der Festsaal) ist z.Zt. die Bibliothek untergebracht.

In einer Großküche (mit super Ziegelstein-Brikettherd, der von Studenten der katholischen Hoch-schule gebaut wurde, die sich auch um die Versorgung mit Briketts kümmern) wird von einem Küchenteam – die Straßenjungs arbeiten in jedem Bereich mit – in riesigen Kochtöpfen Essen für alle zubereitet, das vom Küchendienst eines jeden Pavillons (Wohnhauses) in großen Plastikeimern abgeholt wird. Gegessen wird in den einzelnen Gruppen.

Verschiedene Werkstätten gibt es, wobei z.Zt. 2 größere Räume – aus Personalmangel – ungenutzt sind. Funktionieren tut die Schreinerwerkstatt, einige Jugendliche sind am Arbeiten, wobei es weniger um tolle Holzmaterialienherstellung als um Beschäftigungstherapie geht. Die angefertigten Stücke scheinen nicht so sehr zum Verkauf geeignet….
Hier können wir helfen: Z.B. kann Esmeralda Ranjel, die Lehrerinnen in der Montessori-Pädagogik ausbildet und in Cusco in einer Straßenkinderwerkstatt Holzmaterialien herstellen läßt, vorbeikommen um den Jungs die benötigten Materialien vorzustellen. Für Lima könnten diese Materialien auch gut bei CIMA hergestellt werden.
In der Metallverarbeitung unterrichtet gerade ein pensionierter Schlosser, einige Jungs lernen schweißen. Fehlen tun hier vor allem Materialien wie Löt- und Schweißstäbe. Wir sagen ca. 300 USD für deren Anschaffung zu.

Was Gemüse, Obst angeht, ist CIMA teilweise Selbstversorger. Es gibt Weinreben und Obstbäume, Klein-tierzucht und ein großes Gartengelände. CIMA 250908 036

Besonders die Jungs, die neu nach CIMA kommen, beschäftigen sich zuerst mit den Kleintieren:
Ziegen, Hühner, Meerschweinchen, oder arbeiten im Garten mit.
Im Garten sind einige bei der Arbeit. Ein Kleiner zeigt uns stolz das Gemüse und bricht zwei riesige Gurken ab. In eine beißt er genüßlich selbst nachdem er sie an seiner nicht gerade sauberen Hose abgerieben hat, dann bricht er sie durch und drückt mir die eine Hälfte in die Hand. Die andere Gurke sollen Jean Louis und Sonia sich teilen. Wir werden mit Gemüse überhäuft, jeder bekommt Gurken, Möhren, rote Beete, Mangold, Zwiebeln.

Und schon ist eine weitere Idee geboren: Es gibt Gemüse und Obst, das aber nicht verarbeitet wird. Und Werkräume stehen leer. Sonia wird Studenten vorbeischicken, die Kurse in Marmeladenherstellung und Lebensmittelverarbeitung geben….

Eine Gruppe von Jungs begleitet uns ein Stück Richtung Küche. Ein 10jähriger nimmt mich bei der Hand. Auf die Frage, wie lange er schon hier sei antwortet er „seit einer Woche, aber ich war vorher schonmal da und bin dann ausgebüchst“. Er ist ein Jahr lang auf der Straße geblieben. „Und wie ging es dir da?“ „Sehr sehr schlecht…“.
Wir setzen uns auf einen Holzbalken und reden noch ein bischen. Er hat Tränen in den Augen und grüngelber Rotz läuft ihm aus der Nase. Am Schluß umarmen wir uns und er verspricht, nicht mehr abzuhauen sondern durchzuhalten, und später anderen zu helfen, die nachkommen und denen es noch dreckiger geht…
Nach der Umarmung juckt es mich am ganzen Körper, gar Pulgas (Flöhe)?

Der 9jährige David führt uns durch seinen Wohnpavillon, zeigt Gemeinschaftsraum, Duschen, Schlafräume und den Waschplatz auf dem Dach „wir waschen alle selbst unsere Wäsche und hier (ein Regal mit Schuhen) stellen wir unsere Schuhe ab… Zurück im Gemeinschaftsraum erzählt David seine Geschichte:
Vielköpfige Familie, Vater nicht vorhanden. Der Freund der Mutter schlug die Kinder. David trieb sich auf der Straße rum und wollte Geld verdienen um seine Mutter zu unterstützen. Dafür stahl er ihr Geld und ging zu Spielautomaten. Als die Mutter den Diebstahl bemerkte, setzte sie ihn vor die Tür. Nach einiger Zeit auf der Straße kam David zu CIMA. Er schluchst heftig, er wollte seine Mama doch nur unterstützen und hat ihr doch durch seinen Diebstahl so viele Sorgen bereitet…
Jean Louis umarmt und tröstet ihn und fügt hinzu, daß David einmal im Monat jetzt seine Familie besucht. „Sogar mit dem Freund der Mutter komme ich jetzt einigermaßen aus“ meint David. Und bittet uns, mit ihm in seinem Pavillon zu Mittag zu essen. Natürlich nehmen wir die Einladung an.

Die monatlichen Einnahmen von CIMA liegen bei ca. 9.000 USD Spenden, meist von Privatpersonen, 5.000 USD davon sind von einem alten, reichen Peruaner. Diese Summe kann von heute auf morgen wegfallen. Die monatlichen Ausgaben bzw. der monatliche Bedarf liegt aber bei 13.000 USD. Desweiteren gibt’s unzählige Notwendigkeiten. Eine große Hilfe von Seiten der Oberle-Stiftung wäre eine jährliche Globalunterstützung – z.B. 6.000,– USD jährlich zur freien Verfügung, um Prioritäten mit abzudecken.

Ich frage Jean Louis „Und wenn Du die Notwendigkeiten mal beiseite läßt, was sind Deine Träume für die Zukunft?“ Jean Louis strahlt: „Ja, ich habe einen Traum! Ich möchte gerne, daß die ehemaligen Straßenjungs hier mit eingebunden werden. Das sind so viele großartige Talente, ich denke da besonders an einen tollen Burschen, der jetzt verheiratet ist, selbst zwei Kinder hat und als Kassierer in einem Bus arbeitet. Er kann aber so viel… Und andere, die sich alle regelmäßig bei mir melden und uns besuchen, wenn die hier in der Nähe wären und ihre Erfahrungen weitergeben könnten…“
„Träume weiter, aber konkret. Was brauchst Du, wie könnte was sein, wieviel würde was kosten, und dann schreib alles auf… und lass uns mitträumen… Deine Idee ist wunderbar!“

Aber wie sieht er eigentlich die Zusammenarbeit mit der Oberle-Stiftung? Unsere Unterstützung ist bescheiden und viele große Organisationen haben bisher auch mit nicht gerade kleinen Beträgen unterstützt.
Jean Louis schaut entsetzt: „Weißt Du, es kommen viele hierher, und viele kommen, haben eine Stunde Zeit und in dieser Stunde wollen sie dir ihre Meinung aufdrücken, was hier verbessert werden kann, wie das zu geschehen hat, wie ihr Geld eingesetzt werden soll und wie was abgerechnet werden muß. Einer kann viel geben und doch bedeutet das nicht wirklich was. Eine minimale Hilfe wie Euer Fonds kann so viel mehr bedeuten. Ihr kommt und nehmt Euch Zeit und ob ihr uns Geld gebt oder nicht, Ihr seht und versteht uns mit dem Herzen“.