Eine Mehr-Generationen-Geschichte aus La Paz

AliciaUnsere Geschichte beginnt mit Familie Yanique Calle und sechs Familienmitgliedern: Mutter Alicia, auch Doña Alicia genannt mit den Kindern  Eric, Nelson, Willy, Jhilda, Israel. Vamos juntos arbeitet mit der Mutter  seit 2000 zusammen.
Bis Anfang 2013 traf man Alicia auf der Straße an, wo sie als Schuhputzerin den Lebensunterhalt für sich und ihre Familie verdiente. Daneben nutzte sie jede andere Möglichkeit: So wusch sie Wäsche für Dritte, ging in  Haushalten putzen, arbeitete als Küchenhilfe oder half auf dem Bau. Jeder einzelne Boliviano, den sie zusätzlich verdienen konnte, zählte.

Alicias Vater verstarb sehr früh bei einem Arbeitsunfall auf dem Bau. Alica konnte bis zur dritten Klasse die Schule besuchen, dann erkrankte ihre Mutter an Krebs und verstarb.  Alicia wurde von ihrem Onkel aufgenommen, musste aber in der kleinen Fleischerei des Onkels mitarbeiten. Die Schule musste sie dafür aufgeben.

Als sie 15 Jahre alt war, begann sie als Hausangestellte in vermögenden Familien zu arbeiten.  Ihren Wunsch, wieder in die Schule zu gehen, so wie die Töchter der Familien, für die sie  arbeitete, gab sie nie auf.  Unterstützt wurde ihr Wissenshunger nicht, stattdessen wurde sie von den Hausherrinnen für ihre Träume ausgelacht und körperlich bestraft. Mit 18 Jahren kehrte sie wieder zur Familie ihres Onkels zurück. In dieser Zeit lernte sie ihren späteren Mann Wilson kennen. Auch Wilson war schon in jungen Jahren auf sich allein gestellt und musste arbeiten statt die Schule zu besuchen. Wilsons Vater hatte die Familie verlassen und eine neue Familie gegründet, den Kontakt zu den Kindern aus erster Ehe brach er ab. Auch Wilsons Mutter verstarb  früh. Wilson arbeitete schon in jungen Jahren als Bäckergehilfe und  in der Fleischerei von Alicias Onkel. Wenn trotz der zwei Jobs das Geld nicht reichte, putzte er Schuhe. Angeleitet wurde er dabei von seinem Onkel. Leider trank er zu viel Alkohol und innerhalb kurzer Zeit bekam Wilson richtige Probleme mit dem Trinken.

Doña Alicia wurde gleich im ersten Jahr der Ehe mit Wilson schwanger und Eric kam zur Welt. Eric begann mit zehn Jahren als Schuhputzer auf der Straße zu arbeiten, um seine Mutter zu unterstützen. Denn zu der Zeit versorgte Wilson seine  Familie nicht mehr regelmäßig mit seinem Lohn, sondern gab das Geld für Alkohol aus. Mit 16 Jahren dann suchte sich Eric andere Gelegenheitsjobs. 2009 ging er für einige Monate nach Argentinien, wo er als Schneidergehilfe arbeitete. Inzwischen lebt er wieder in La Paz,  hat eine Familie gegründet und lebt mit Frau und Sohn bei seinen Schwiegereltern.

Auf Eric folgt Nelson. Nelson besuchte nur die erste Klasse.  Auch er arbeitete schon seit seinem achten Lebensjahr als Schuhputzer. Nach einem langen Arbeitstag sollte er abends zur Schule gehen, doch nutzte er diese Zeit mehr zum Spielen. Heute arbeitet Nelson immer noch als Schuhputzer. Leider trinkt auch er sehr viel Alkohol. Immerhin unterstützt er die Mutter bei den Nebenkosten für Wasser und Strom und bringt ab und zu Lebensmittel mit nach Hause. Die drei jüngeren Kinder Willy, Jhilda und Israel gehen noch zur Schule. Sie besuchen normalerweise abends von 18.00 Uhr bis 21.30 die Schule. Weil die Einkünfte der Mutter nicht ausreichen, arbeiten Willy und Jhilda tagsüber von 9.00 Uhr bis 17.30 Uhr in einer Eisdiele. Dort verdient jeder monatlich 120 Bolivianos. Willy putzt am Wochenende Schuhe.

Nach mehreren Fehlgeburten hatte Doña Alicia starke Blutungen, die Ärzte diagnostizierten einen Tumor, der unbedingt operiert werden müsse. Doch aus Angst vor der Operation, den hohen Ausgaben und dem entsprechenden Lohnausfall ließ sie die Zeit verstreichen, ohne sich um ihre Gesundheit zu kümmern. Erst der Tod ihres Mannes Wilson und der Gedanke, dass ihre Kinder ganz auf sich gestellt wären, wenn ihr etwas zustoßen würde, bestärkte sie, die Operation durchführen zu lassen.  Vamos juntos unterstützte sie mit einem Teil der Kosten  und mit Lebensmitteln in den ersten Monaten nach dem Eingriff.

Stets bemühe sich Doña Alicia  so viel wie möglich für den Lebensunterhalt der Familie zu verdienen. Putzen , Wäsche waschen, Schuhe putzen. Doch trotz ihrem Eifer mussten ihre Kinder immer mitarbeiten, konnten deshalb die Schule nur kurz und ohne einen Abschluß zu machen besuchen. Der Teufelskreis mit Gelegenheitsarbeiten ohne richtige Ausbildung drohte sich zu wiederholen.

2014 änderte  sich alles: Alicia bekam einen Arbeitsvertrag als Putzhilfe für öffentliche Toiletten. 40 Stunden pro Woche, mit einer Krankenversicherung, die ihre Kinder mitversichert. Doña Alicia ist sogar rentenversichert. Inzwischen konnte die Familie in zwei Zimmer umziehen, eines für sich und ihre Tochter und eines für die Söhne. Ihre neue Arbeitsstelle gefällt ihr, sie hat guten Kontakt mit ihren Kolleginnen und sie hofft auf eine Vertragsverlängerung im nächsten Jahr. Damit das klappt, will sich besonders anstrengen, denn Schuhe putzen möchte sie nicht mehr. Alicia berichtet: „Ich bin sehr glücklich über meine neue Arbeitsstelle, es ist das erste Mal, dass ich eine feste Arbeit und einen festen Lohn habe“. Dafür danke sie Vamos juntos von ganzem Herzen, denn sonst würde sie immer noch auf der Straße und in verschiedenen Haushalten arbeiten.

Quelle: Ruth Overbeck de Sumi, Mitarbeiterin bei Vamos Juntos e.V.

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