Das vergessene Volk der Epera

image003Schwester Victoria hat ihr ganzes Leben den Indios gewidmet und mit so ziemlich allen indigenen Völkern  in Equador gearbeitet oder gar gelebt. Ein Volk aber ist ihr nicht begegnet, nur in  anthropologischen Lektüren. Sie wußte also, dass es dieses Volk der Epera geben muß. Aber wo?  Es ist zwar kein großer Volkstamm, aber kein einziger Epera? Victoria hat das nicht losgelassen und sie hat angefangen, sich auf die Suche zu machen.  Zunächst fand sie keinen Epera …

Es hat ein gutes Jahr gedauert, sie suchte und suchte und hat überall nachgefragt hat, bis sie endlich ihren ersten Epera fand!

E2B-9j-MannRuderKreuzSchwester Victoria hat  sich so darüber gefreut, dass sie den ersten Epera gleich in ihre Arme schloss. Dieser wußte jedoch nicht so recht wie ihm da geschah, gleich so intensiv umärmelt zu werden, noch dazu von einer Nonne!
Einmal fündig,  hat Victoria noch andere vom Volk der Epera enteckt, aber immer nur einzelne, verstreut lebende Familien, oft in ganz jämmerlichen Zuständen.

Die Epera hatten in einem Vertreibungsprozess über Jahrhunderte zum Schluß alles verloren. Sie besassen  kein einziges Stückchen Land mehr,  obwohl ihnen einst – als es noch keine Grundbücher gab – im Nordosten von Ecuador ziemlich viel gehört haben mußte. Sie wurden in die Elendsviertel der Küstenstädte vertrieben, isoliert  und völlig verarmt. Ihre  spezielle Lebensart,  Sprache und Kultur war untergegangen.

Guayaquil Isla Trinitaria InternetBild1

Da schrieb Schwester  Victoria einen langen Brief  an ihre langjährigen Unterstützer von der Oberle-Stiftung und insbesondere an Clemens Oberle, der über die gemeinsamen Reise zu den entlegenen Indio-Dörfern ein guter Freund geworden war.
Gleich frank und frei und vorneweg hat sie geschrieben: „Clemens, diesmal wird es teuer! Diese Menschen brauchen ein Stück Land“.
Der so Angeschriebene hat sich erst ziemlich gewunden, weil zum Kauf von Grundbesitz in Lateinamerika so gar nichts in den Statuen der Oberle-Stiftung zu finden ist.  Erst einmal zurückgefragt:  „Könnte man das nicht irgendwie ‚finanzieren‘, ein ‚Hypothekendarlehen‘ vielleicht, gerne auch zinslos ….. „. Ein klares „NEIN“, war die Antwort: „Wir müssen froh sein, wenn die Epera sich auf diesem Stückchen Land selbst ernähren und durchbringen können. Zu einer Tilgung kann und wird es nirgends hinreichen.“

Um es abzukürzen, die Oberle-Stiftung hat es dann gemacht*. Wir haben sogar noch andere „Gesellschaften für bedrohte Völker“ gefunden, die mitgemacht haben und deshalb gibt es heute ein kleines, abseitig gelegenes Dorf an einem Fluß, das nennt sich: „Santa Rosa de la Epera“.

image006

Aber es hat sich gelohnt: Es ist ein wunderschönes Projekt daraus geworden! Die Epera haben begonnen sich wieder dort  anzusiedeln, wo sie hingehören. Auch wenn die meisten Behausungen für unsere Verhältnisse sehr durchsichtig erscheinen, das gehört durchaus zu ihrer gemeinschaftlichen und offen Lebensweise. Gardinen kennen sie nunmal nicht.

Die Epera sind Boot-People, Flußmenschen, sie leben am, im und vom Fluß. Ihre Mythen erzählen auch, wie Gott am Ufer des großen Flußes einst die ersten Menschen schuf. Zunächst hat er sie aus Lehm vom Flußufer geformt und ihnen dann Leben einhaucht. Und je nachdem, was für einen Lehm er genommen hat, wurden sie dann halt etwas heller, rötlicher oder bräunlicher …

Sie haben in Ihrem neuen Dorf einen neuen Lebensmittelpunkt. Ihre Traditionen wiederbelebt, ihre Mythen, Riten, ihre Tänze und ihr Leben in Gemeinschaft, das grundsätzlich demokratisch verfasst ist, aber auch sehr harte Strafen kennt, wenn sie die Gemeinschaft beschließt.

Victoria hat acht Jahre dann dort gelebt. Eine kleine Schule aufgebaut und die Kinder gelehrt, aber vor allem auch selbst gelernt. Zunächst hat sie „Epera“ lernen müssen, denn die Epera haben eine eigene Sprache, und sie hat diese Sprache erstmalig auch aufgeschrieben – denn das ist natürlich keine Schriftsprache. Und in dieser Sprache hat sie dann Geschichte und Kultur der Epera aufgeschrieben – so wie sie diese selbst sie erzählen.
Letztlich ist ein ganzes Buch daraus geworden. Komplett zweisprachig: In Spanisch und „Epera“ geschrieben. Es gibt viele schöne Fotos darin. Und es ist – nach meiner Kenntnis – das einzige Buch in Epera und über die Epera, das es auf der Welt gibt.

Clemens Oberle