Der Ring der Körperbehinderten hat im Stadtteil Rieselfeld barrierefreie Wohnungen angemietet. Dort können Menschen Alltagsleben einüben.
Ermöglicht wurde dies durch die Förderung der Glücksspirale, der Oberle-Stiftung und privater Spender.
Anfang Mai ist Kevin Eikmeyer im Stadtteil Rieselfeld von einer Straßenseite auf die gegenüberliegende umgezogen. Was eher unspektakulär klingt, war für den 26-Jährigen ein großer Schritt in ein selbständigeres Leben. Er ist auf einen Rollstuhl angewiesen und jetzt in eine spezielle Wohngemeinschaft eingezogen, die der Ring der Körperbehinderten als neues Angebot für testen möchte.
„Ich sehe mich als privilegiert an, dass ich hier wohnen darf“, sagt Kevin Eikmeyer. Er hat in der Vier-Zimmer-Wohnung einen Raum bezogen. Die Einrichtung verrät sofort, für welche Fußballmannschaft sein Herz schlägt: Das SC-Wappen ist gleich mehrfach zu finden. „Ich komme schließlich aus Freiburg.“
Kevin Eikmeyer leidet an einer infantilen Cerebralparese, ausgelöst durch einen Sauerstoffmangel bei der Geburt. Seine Zwillingsschwester kam gesund auf die Welt. Aufgewachsen ist er bei seiner Familie im Ortsteil Tiengen, nach der Schule ging er nach Ludwigsburg, wo er zur Bürokraft ausgebildet wurde. Da sein Elternhaus „wenig bis gar nicht behindertengerecht“ ist, zog er ins Rainer-Bernhard-Haus in Rieselfeld, ins sogenannte Trainingswohnen.
Zwei Jahre lang werden körperbehinderte Menschen in einer Sechser-WG darauf vorbereitet, eigenständiger leben zu können. Noch in einer Rund-um-die-Uhr-Betreuung. „Viele junge Menschen mit schweren Körperbehinderungen leben mangels Alternativen in Altenwohnheimen“, weiß Ring-Geschäftsführer Norbert Weiß. Das 2012 eröffnete Rainer-Bernhard-Haus ist eine Alternative. Die neue Wohngemeinschaft sieht Weiß als „logische Fortsetzung der Bausteine im Haus“.
Solche Angebote scheiterten allerdings oft daran, dass entsprechende Wohnungen auf dem normalen Markt gar nicht zu finden seien, sagt Norbert Weiß. In Rieselfeld – einem modernen, barrierefreien Stadtteil, mit Geschäften, Arztpraxen und Physiotherapeuten – schloss der Ring eine Projektpartnerschaft mit dem katholischen Siedlungswerk, konnte bei der Planung mitreden. In den beiden Wohnungen sind zum Beispiel die Flure deutlich breiter als in normalen Wohnungen, es gibt zwei Bäder und einen zusätzlichen Raum für Rollstühle und andere Hilfsmittel. Die Ofentür ist einklappbar, der unterfahrbare Herd auch vom Rollstuhl aus zu bedienen. „Letztens habe ich mit Hilfe einer Sozialpädagogin ein Omelett gemacht“, erzählt Eikmeyer, „und es hat sogar geschmeckt.“
Der 26-Jährige fühlt sich wohl in seiner neuen Umgebung und versteht sich gut mit seinem 36-jährigen Mitbewohner. „Wir hatten viel Glück, weil wir uns gleich sehr sympathisch waren. Wir waren auch schon mal zusammen ein Bierchen trinken.“ Bei der Auswahl des dritten Mitbewohners oder der Mitbewohnerin haben beide zwar ein Mitspracherecht, für die Vorauswahl und die Entscheidung ist aber Andrea Schwarz zuständig, die Leiterin der Sozialen Dienste. „Zu hohe Erwartungen und Selbstüberschätzung“, nennt sie als Gründe, warum bislang noch kein dritter Bewohner gefunden wurde. Einer habe einen Rückzieher gemacht, weil er lieber im beschützten Familienumfeld bleiben wollte.
Ambulante Pflegedienste kommen zwar regelmäßig in die WG, und zwei Sozialpädagoginnen organisieren zusammen mit den Bewohnern den Alltag, trotzdem müssen die Körperbehinderten selbständiger agieren, als viele das in ihrem bisherigen Leben gewohnt waren. „Wir wachsen gemeinsam an unseren Erfahrungen“, sagt Schwarz.
Selbstbestimmt Leben:
Der Ring der Körperbehinderten ist ein gemeinnütziger Verein, der Menschen mit schweren Körperbehinderungen ein möglichst selbstbestimmtes Leben ermöglichen will. Dazu gehören unter anderem die Wohnangebote in der Ernst-Winter-Wohnanlage und im Rainer-Bernhard-Haus mit stationären Einrichtungen, Assistenz, ambulantem betreutem Wohnen und Alltagsbegleitung.