Warum der Millionär Wilhelm Oberle auf intelligente Weise seinen Reichtum vernichtet.
Porträt eines Stifters / Von Stefan Hupka
(Badische Zeitung vom 07.05.2005)
Was Reichtum ist, davon hatte er schon als Bub eine klare Vorstellung: vier Räder, fünf Sitze, Blechdach darüber – ein Auto. In dem Dorf, in dem er aufwuchs, gab es unter zweitausend Einwohnern nur fünf, die sich solch sagenhaften Luxus leisten konnten. Seine Familie war nicht darunter. „Hätte mir damals jemand gesagt, dass ich mal ein Auto fahren werde, hätte ich ihm geantwortet, du spinnst.“
Heute kann sich der Sohn eines bettelarmen Waldarbeiters die zehn teuersten Autos der Welt gleichzeitig kaufen. Wenn er will. Aber das will er nicht. Nicht, dass Wilhelm Oberle geizig wäre. Im Gegenteil.
Der gelernte Kaufmann sucht geradezu Gelegenheiten, sein vieles Geld auszugeben, er verleiht es zinslos, verschenkt es sogar – unter einer Bedingung: dass der Beschenkte das Geld wirklich braucht.
„Braucht“ ist natürlich relativ. Wer hat schon genug Geld und braucht nicht mehr – und wenn es so wäre, wer würde das zugeben? Wilhelm Oberle zum Beispiel.
Er hat Geld mehr als genug und gibt das auch noch zu. „Ich habe Glück gehabt und war wirtschaftlich erfolgreich, ich habe einekleine Firma in dreißig Jahren groß gemacht und sie zu einem günstigen Zeitpunkt verkauft.“ Das ist jetzt mehr als fünfzehn Jahre her. Seitdem ist Wilhelm Oberle nicht mehr Fabrikant von Naturheilmitteln in Kirchhofen, sondern: Stifter.
Mit damals zwei Millionen Mark hat er 1990 die gemeinnützige Wilhelm-Oberle-Stiftung ins Leben gerufen, inzwischen ist sie die größte private Stiftung Freiburgs.
„Als feststand, dass meine Kinder meine Firma nicht weiterführen wollten, die ich aufgebaut habe, und ich mich deshalb entschied zu verkaufen, wollte ich nicht, dass sie als meine Erben das ganze Geld bekommen“, begründet Oberle den Schritt heute kühl.
Aber das liest sich hartherziger, als es klingt, wenn der rüstige Mann in seiner Villa oben auf Freiburgs Lorettoberg aus seinem Stifterleben plaudert. Ein freundlicher, ausgeglichener Herr im legeren Cordanzug, das Hemd kariert, der Kragenknopf offen, das Mobiliar der Villa gediegen, nicht protzig.
Derzeit beträgt das Kapital seiner Stiftung zehn Millionen Euro. Aus den Erträgen dieses Stocks gibt sie bis zu 1 Million Euro pro Jahr für ihren Satzungszweck aus: „Die Förderung und Unterstützung von Personen, die aufgrund ihres Alters, ihres Gesundheits- oder geistigen Zustands, ihrer sozialen Situation oder einer materiellen Notlage auf die Hilfe Dritter angewiesen sind.“
Damit hat der strenge Vater seine Kinder zwar teilweise enterbt, aber diese machen dabei sogar mit : Sohn Clemens verantwortet die Auslandshilfen der Stiftung, Tochter Cathrin betreut die sozialen Hilfen im Inland, mit Schwerpunkt im Großraum Freiburg. Die beiden nebst den weiteren Festangestellten der Stiftung – vier Sozialarbeiter und eine Fremdsprachensekretärin – haben gut zu tun: die Nachfrage brummt.
Dabei kann es im Einzelfall um überschaubare Beträge gehen, etwa die Kosten einer Klassenfahrt, die sich ein Elternhaus nicht leisten kann, oder eine überfällige Stromrechnung, die die Stiftung begleicht, damit dem säumigen Haushalt der Strom wieder angestellt wird, oder auch nur um das Kommunionskleidchen für den Weißen Sonntag. Teurer werden Leistungen für Behinderte, z.B. behindertengerechte Anschaffungen für solche, die sich das nicht leisten könnten. Daneben gibt es Hilfen zur Entschuldung von Privatleuten aus. „Verschuldung ist die neue Form der Armut“, sagt Oberle.
Seinesgleichen (die Reichen) nimmt Oberle eher mahnend ins Gebet: „Viele Leute, gerade die erfolgreichen, überschätzen den eigenen Anteil an ihrem Erfolg und vernachlässigen dabei die Umstände: Glück, Zufälligkeiten oder das große Wort Schicksal.“
Oberle sieht seine Stiftung nicht in Konkurrenz zum organisierten Sozialstaat oder etwa als Reparaturbetrieb für dessen Unterlassungen. „Staatliche Hilfe kann nicht jede Lücke abdecken“, sagt der Stifter. „Es gibt immer Menschen, die durch das soziale Netz fallen, weil sie nirgends hineinpassen, oder auch aus falscher Bescheidenheit.
Es gibt auch eine versteckte Armut. Wir erleben sehr oft, dass die Kinder nicht wollen, dass die Eltern es erfahren oder umgekehrt. Es gibt auch immer wieder Leute, die sich weigern, zum Sozialamt zu gehen. Da führen wir sie allerdings hin, weil wir unsere Hilfen erst einsetzen wollen, wenn die öffentlichenHilfen erschöpft sind.“
Die Weltanschauung des Stifters Oberle trifft sich mit dem, was Lothar Späth seit langen Jahren als Modell einer neuen Bürgergesellschaft propagiert: ein florierendes Stiftungswesen. „Ich habe nichts dagegen, dass es reiche Leute gibt“, pflegt der frühere baden-württembergische Ministerpräsident, heute selbst ein reicher Mann, in seinen Reden zu sagen. „Die Frage ist nur, wie man sie dazu bringt, einen Teil ihres Reichtums zur Unterstützung anderer freizusetzen. Deutschland besitzt acht Billionen Euro Privatvermögen. Wir müssen die Leute dazu bringen, mit Lust intelligente Reichtumsvernichtung zu betreiben.“
Nimmt man die bloßen Zahlen, dann hätte es dieser Aufforderung des umtriebigen Schwaben nicht bedurft: Das Stiftungswesen erlebt in Deutschland seit den frühen 90er-Jahren einen Boom. Die Erbschaften der rührigen Nachkriegsgeneration, siehe Wilhelm Oberle, suchen sich sinnvolle Zweckbindungen.
Oft aber muss sich der Stifter von Freund und Feind anhören: Du machst das doch bloß, um Steuern zu sparen. Genau darin, in dem immer noch verbreiteten Ruch der Stiftungen als verkappte Steuersparmodelle, sieht Oberle den Hemmschuh einer florierenden Stifterlandschaft. „Diese Leute täuschen sich. Sie übersehen, dass ich zwar im Moment des Stiftens eine Steuerersparnis erziele. Aber ich kann nicht plötzlich sagen, jetzt höre ich mal wieder auf mit der Stiftung. Mein Geld ist weg, unwiederbringlich weg!“
Wenn Stifter Oberle von solchen Diskussionen die Nase voll hat, dann weiß er, was ihn wieder aufbaut: eine Reise nach Afrika oder Südamerika, wo seine Stiftung die Hälfte ihrer jährlichen Hilfen unterbringt, in Projekten für Straßenkinder in Peru oder für Brunnen in Tansania. Und er erzählt die Geschichte von dem Massai, dem ein Löwe ein Bein abgerissen hat. „Nicht mehr gehen zu können, das wäre sein Ende gewesen in seinem Wandervolk.“ Also hat die Stiftung ihm in Freiburg nach präzisen Vorgaben eine Prothese bauen lassen. „Ich habe mich sogar selbst davon überzeugen können, dass er wieder läuft.“
„Ich bin der inneren Überzeugung, dass der Mensch nicht allein dazu auf der Welt ist, dass er sich dort nur um sein eigenes Wohl kümmert.“
Das schließt das eigene Wohl nicht aus, denkt er dann – steigt in sein Auto und fährt regelmäßig in seinen Geburtsort Nordrach nahe dem Kinzigtal, um dort nach seiner Hobbylandwirtschaft und seinen Schafen zu sehen und alte Freunde zu treffen.
SWR4 Radio-Interview mit Tochter und Vorständin Cathrin von Essen (2007)