Es klingt ein bisschen wie ein Märchen:
Eine Gruppe Jugendlicher – Migranten, Hauptschüler – findet sich nachmittags – nach der Schule – im Projekt einer Sozialpädagogin wieder.
Sie schreiben Gedichte … und gewinnen einen Literaturpreis. Sie freunden sich mit einer stadtbekannten Hip-Hop-Gruppe an und bringen ihre Texte im „großen Haus“ des städtischen Theaters auf die Bühne.
»WEIT VOM AUGE – WEIT VOM HERZ« ist ein Projekt, das Einblicke in die oft schwierigen Geschichten, belastenden Erfahrungen und Gefühle muslimischer Jugendlicher, die versuchen, sich in ihrer neuen deutschen Heimat zurechtzufinden. „Die knapp formulierten Geständnisse und Bekenntnisse der Jugendlichen, begleitet von gut ausgewählter Musik, lassen in das Herz der Jugendlichen sehen.
Das Projekt leistet damit einen bemerkenswerten Beitrag zum gegenseitigen Verständnis der Kulturen und Religionen in unserem Land“, so Hans Küng.
Vor den Auftritten ist es inzwischen ein harmonisches Bild: junge Menschen sitzen zwischen ihren Sporttaschen auf dem Boden, lachen, reden, probieren Hosen an und tauschen T-Shirts. Noch nicht alle haben ihre Kostüme zusammen. Und es ist irgendwie ganz anders, als zu Beginn des Projekts. Denn da ist nicht mehr die eine Gruppe mit den Mädchen, die Kopftuch tragen und dort die Gruppe mit den Teenagern, die in weite Hip-Hop-Klamotten gekleidet sind. Beide Gruppen haben sich zu einer großen vermischelt. »Einige von unseren Migrantinnen haben bald Prüfungen in der Schule. Und weil sie Angst hatten, dass sie diese wegen den Proben nicht so gut schaffen, bekommen sie Nachhilfe von den jungen Leuten aus der Hip-Hop-Company«, berichtet Barbara Davids.
Sie ist die Sozialpädagogin mit Hilfe derer die Jugendlichen über ihre eigenen Grenzen wachsen können.
Zu Beginn fing alles mit einer Schreibwerkstatt an. Durch ihre biographischen Gemeinsamkeiten führte die Schreibwerkstatt die Jugendlichen zu einer intensiven Auseinandersetzung mit Heimat, Identität und Werten. Prägende, teilweise traumatische Erlebnisse wurden erinnert und artikuliert, einige trugen die Gespräche aus der Gruppe in ihre Familien hinein, befragten die Eltern nach der Vergangenheit. Aus den langen Texten, die dabei entstanden, wurden die wichtigsten Sätze und Motive extrahiert und mit der Gliederung in Verse und Strophen experimentiert, um dieser Quintessenz eine lyrische Form zu geben.
Dadurch wurde Dialog in Gang zu setzen, welcher mitten ins Herz trifft. Sowohl nach „innen“, in die Familien der Jugendlichen, weil Gespräche angestoßen wurden – als auch nach „außen“, in eine interessierte Öffentlichkeit, die allen Grund hat zu hinterfragen, was sich hinter den groben Kategorien wie „Hauptschüler“, „Immigrant“ und „Muslim“ eigentlich verbirgt.
Es lohnt sich, diesen Jugendlichen zuzuhören.
Manch einer wischt sich dabei verstohlen die Augen und denkt:
“Vor dem Auge – direkt ins Herz”
Trailer zu „Weit vom Auge – weit vom Herz“
Aufführungsauschnitte „Weit vom Auge / reloaded“ 2016
längeres Doku-Video zum Gesamtprojekt „Weit vom Auge – weit vom Herz“